Wie schon bei den letzten Ausgaben veröffentlichen wir an dieser Stelle den einen oder anderen Artikel aus dem vierteljährlich erscheinenden Magazin von ASS. Teil 3: Max Busslinger, der Teamchef, der gegen Ayrton Senna fuhr.
Aus seiner Vergangenheit macht Max Busslinger nicht viel Aufhebens. Doch kommt er einmal in einen Redefluss, dann sind da schon Anekdoten dabei, bei denen eingefleischte Racing-Fans die Ohren weit aufsperren. Dass der Badener 1979 mit Paul Güdel und Marcel Gysin Mannschafts-Europameister wurde, lässt aufhorchen. Dass er bei der Kart-WM 1992 in Ugento (I) Bronze holte, erregt Aufmerksamkeit. Dass er aber selber an die Türe zur Formel 1 klopfte und auf dem Weg dorthin gegen den unvergessenen Ayrton Senna gefahren ist, macht «gwundrig». Doch alles der Reihe nach.
Busslingers Karriere startete vor mehr als 50 Jahren – 1972, als sein Bruder Karl ein Go-Kart kaufte, Max daran schraubte und «als Dankeschön» hin und wieder auch selber fahren durfte. Ab 1975 griff Busslinger regelmässig ins Lenkrad. Zuerst auf dem alten Material des Bruders, später als Kategorie-A-Fahrer – stets unterstützt von der Wohlener Kartbahn-Institution «Seppi» Koch. 1978 gelang Busslinger der Durchbruch mit Rang 2 in Jesolo (I) bei einem WM-vergleichbaren Anlass hinter Terry Fullerton. Fullerton? Da klingen die Glocken ein erstes Mal. Fullerton war doch der erste Engländer, der 1973 Kart-Weltmeister wurde? Richtig! Und er war vor allem der Teamkollege, von dem Senna später sagte, das sei sein grösster Gegner gewesen. 1979 folgte dann der eingangs erwähnte Europameistertitel im Mannschaftskartfahren, ehe Busslinger 1980 den Umstieg in den Automobilrennsport wagte.
Die Lizenz fürs Rennfahren erlangte der damals 23-jährige Max in der Jim Russell Racing School im britischen Snetterton. Wer damals im Automobilrennsport nach oben kommen wollte, kam nicht umhin, im Mutterland des Motorsports zu fahren. Das galt auch für Busslinger, der ab 1981 in der Formel Ford für das Team von Rushen Green an der Seite von Tommy Byrne startete. Rushen Green? Auch da klingelt’s? Das war doch das Team, für welches Senna fuhr? Richtig! Und Tommy Byrne? Genau, das war dieser verrückte Ire, der kurz in der Formel 1 auftauchte und später mit seinem Buch «Crashed and Byrned» für Schlagzeilen sorgte.
Busslinger hätte auch 1982 in der Formel Ford 2000 für Rushen Green fahren können. Sein Teamkollege wäre Ayrton Senna gewesen. Wäre…, denn Busslinger hatte ein anderes Angebot. «Rushen Green wollte von mir 1400 Pfund pro Rennen», erzählt Max. «Das ist aus heutiger Sicht nicht sehr viel; damals war das aber ein Haufen Geld. Als dann Bob Salisbury, ein anderer Teamchef kam, und mir ein Angebot von 1000 Pfund pro Rennen machte, willigte ich ein. Hinterher war das natürlich ein Fehler. Senna wurde mit Rushen Green 1982 Meister und tat so viel für die Entwicklung, dass sogar Teamkollege Kenny Andrews, den ich im Jahr zuvor regelmässig schlug, Gesamtdritter wurde.»
1983 wechselte Busslinger in die Formel-3-Europameisterschaft zu Eddie Jordan – klingeling! Wieder fuhr er an der Seite von Byrne. Und wieder (oder wie immer) war das Geld knapp. Immerhin: Busslinger holte beim Rennen auf dem französischen Circuit La Châtre als Sechster (und einziger Schweizer) einen EM-Punkt. Und das gegen zahlreiche Gegner, die später in der Königsklasse landeten. Busslinger bekam in der Formel 3 sogar ein Gratisangebot. Der spätere Jordan-Technikchef Gary Anderson offerierte ihm einen Sitz, doch Busslinger lehnte ab. «Der zweite Fehler in meiner Karriere!» Im selben Jahr absolvierte Busslinger auch einen «Test» mit Maurer Motorsport in Le Castellet an der Seite von Stefan Bellof. 15 Runden durfte er drehen – am Ende fehlten ihm 1,5 Sekunden auf den späteren GP-Sieger Alessandro Nannini.
1984 stieg der Aargauer dann in die Formel 2 auf. Dort fuhr er im Team von Arturo Merzario, auch er eine Legende im internationalen Motorsport. Ausgerechnet auf dem engen Strassenkurs im französischen Pau gab Busslinger sein Debüt – ein schwieriges Unterfangen. Für Platz 10 würde er heute einen Punkt bekommen, damals ging er leer aus. Doch Busslinger gab nicht auf und ging 1985 in der Formel 3000, der Formel-2-Nachfolgeserie, an den Start. Zwei Rennen absolvierte er: in Zeltweg und in Zandvoort für das Team Corbari Italia. Danach war der Ofen sprichwörtlich aus.
Zwei «Chancen» hatten sich in der Zwischenzeit noch aufgetan: Anlässlich eines England-Aufenthaltes weilte Busslinger in Silverstone. Dort testete gleichzeitig das Formel-1-Team von RAM, dem Rennstall von John Macdonald. Weil die Verantwortlichen Busslinger von seinen Renneinsätzen kannten, boten sie ihm spontan ein paar Testrunden an. Zwar ergab sich daraus kein Formel-1-Vertrag, aber Busslinger denkt noch heute gerne an diesen Tag zurück: «Einmal im Leben diese brachiale Turbo-Power zu spüren, war einfach geil!» Ende 1985 flatterte dann noch ein Angebot von Toyota für die Sportwagen-WM ins Haus. «Das hat mich aber nicht interessiert.»
1987 kehrte Busslinger dann zu seinen Wurzeln zurück und gewann sechs Schweizermeistertitel auf vier verschiedenen Chassis: je einen mit PCR, Merlin und Birel, dazu drei Mal mit Swiss Hutless. Bei der WM in Ugento 1992 wurde er Dritter, 1989 in Hong Kong Fünfter. «Ich bin bis 1995 gefahren», sagt Busslinger. «Mit 38 Jahren habe ich Schluss gemacht. Im letzten Jahr habe ich von zehn Läufen neun gewonnen und wurde einmal Zweiter. In bester Erinnerung habe ich mein Abschiedsrennen in São Paulo.»
1997 startete Busslinger dann die vierte Phase seiner Karriere – als Teamchef; zuerst für Swiss Hutless, später für Birel. Sein Wissen und seine Erfahrung hat er seither schon zahlreichen Piloten weitergegeben. Eine besondere Freude bereitet Busslinger ein Titel dann, wenn er mit einem Fahrer zustande gekommen ist, den sonst niemand auf der Rechnung hat. «Aus einem Mauerblümchen einen Siegertypen zu machen, ist ein tolles Gefühl», sagt Busslinger. Wichtig ist dem heute 66-Jährigen aber auch der Charakter. «Es darf ruhig mal scheppern, aber die Chemie muss passen», meint der älteste Teamchef im Schweizer Kart-Paddock, der zuletzt 2023 mit Pascal von Allmen den Titel bei den Senioren holte.
Zurück zu Senna: Ihn bewundert nicht nur der Autor dieser Zeilen bis heute, auch Busslinger war und ist Fan des vor 30 Jahren verstorbenen Brasilianers. «Ich erinnere mich noch an unsere letzte Begegnung beim Kartrennen in Paris-Bercy 1993», erzählt Max. «Senna ist damals gegen Alain Prost und Konsorten ein Promirennen gefahren. Als er mich inmitten der anderen Kartfahrer entdeckte, kam er zu mir, gab mir die Hand und sagte: ‹Hello Max, how are you?› Ich dachte, ich spinne. Aber so war er. Er hatte ein unglaubliches Erinnerungsvermögen und er konnte sich an Details erinnern, die unsereins oft gar nicht auffallen. Dass ich ihm damals noch zu seinem Williams-Vertrag gratuliert habe, werde ich nie vergessen. Keine fünf Monate später war er tot!»