In der aktuellen Ausgabe des ASS-Verbandsmagazins haben wir Ihnen Rallye-Nachwuchsfahrer Jérémie Toedtli kurz vorgestellt. Wir wollen Ihnen aber das ganze Interview mit dem schnellen Neuenburger nicht vorenthalten.
Wie und durch wen bist du zum Rallyesport gekommen?
Jérémie Toedtli: Bei mir ist das eine Familienangelegenheit. Meine Eltern widmeten ihr Leben dem Motorsport und gründeten die Garage GTO Evolution. Dieses Unternehmen ist spezialisiert darauf, Rennwagen vorzubereiten. Wir haben mit vielen Fahrern gearbeitet: Gillet, Camandona, Gonon, Heintz, Burri und andere. Ich bin quasi schon mit dieser Leidenschaft zur Welt gekommen. Nach dem Tod meiner Mutter im Jahr 2009 war meine Entschlossenheit, an Rallyes teilzunehmen noch grösser. Und so ist es bis heute geblieben.
Warum Rallyes? Warum nicht Rundstreckenrennen?
Der Rallyesport hat mich schon immer viel mehr fasziniert als die Rundstrecke. Ich schätze, ich bin an der Seite meines Vaters auf den Geschmack gekommen, weil er mich immer wieder mitgenommen hat. Ausserdem hat auch das Videospiel von Colin McRae geholfen. Das war eine gute Schule, um die Grundlagen dieser Rennkategorie zu lernen. Als Jugendlicher war ich zunächst in die Vorbereitung der Autos involviert. Ich hatte die Rolle des Assistenten und erlebte Rallyes als Zuschauer vom Strassenrand aus. Mit der Zeit beschäftigte ich mich auch mit dem Aufschrieb, sah der Rennleitung über die Schultern und machte mich mit den Besonderheiten auf den einzelnen Wertungsprüfungen vertraut. All das hat mir den Einstieg in den Rallye-Sport erleichtert. Ich war dermassen gut vorbereitet, dass ich bei meiner zweiten Rallye, der Pays du Gier, von der dritten Wertungsprüfung an bessere Zeiten fuhr als Gonon mit dem gleichen Auto. Ich war sofort konkurrenzfähig. Und fühlte mich nicht als Neuling. Ich hatte bereits viel Erfahrung, da ich seit meiner Kindheit alles rund um den Rallyesport aufgesogen habe.
Was fasziniert dich an Rallyes?
Für mich bietet der Rallyesport viel mehr Faktoren als andere Motorsportdisziplinen. Und genau diese Vielfalt ist es, was mich fasziniert. Da ist zunächst einmal die Tatsache, zu zweit im Auto zu sitzen. Dabei ist es wichtig, eine perfekte Zusammenarbeit zu finden, die es dir erlaubt, an nichts anderes zu denken, als an die Hinweise deines Beifahrers. Ich liebe diese Teamarbeit und den Zusammenhalt. Und es fasziniert mich, wie man als im Rallyeauto funktioniert. Aber es sind nicht nur der Fahrer und der Beifahrer, um die es geht. Auch die Kommunikation mit unserem Ingenieur ist wichtig, um seine Ziele zu erreichen. Darüber hinaus machen die Improvisation, das Unbekannte, die Risikofreude diesen Sport so einzigartig.
Hast du ein Vorbild?
Es gibt mehrere Fahrer, für die ich Respekt und Bewunderung empfinde. Ich würde aber nicht so weit gehen und sagen, dass sie meine Idole sind. Colin McRae war der erste Rallyepilot, der mich diesem Sport – zumindest virtuell – näher brachte. Ich erinnere mich, dass mein Vater und ich regelmässig nachts aufgestanden sind, um bei Übersee-Rallyes die Etappen am TV zu verfolgen. Auch Sébastien Loeb und sein Erfolg mit seinem sehr effizienten Stil, der alle Rekorde brach, hat mich inspiriert. Dass ich mich mit ihm schon bei der Rallye Chablais vergleichen konnte und sogar eine bessere Zeit fuhr als er, ist ein besonderes Erlebnis. Was ich an ihm bewundere, ist, dass er trotz seiner Erfolge bescheiden, einfach und zugänglich geblieben ist.
Wann hast du deine erste Rallye erlebt?
Das ist eine schwierige Frage. Ich war wahrscheinlich zwei oder drei Monate alt, als mich meine Eltern zum ersten Mal zu einer Rallye mitgenommen haben. Abgesehen von Läufen zur Schweizer Meisterschaft erinnere ich mich, dass ich die Tour de Corse Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre mehrmals auf den Schultern meines Vaters mitverfolgt habe. Später hatte ich innerhalb des Teams meinen festen Platz als Karosserie-Putzmeister.
Erinnerst du dich noch an deine erste Rallye als Fahrer?
Und wie – als wäre es gestern gewesen! Ich kann mich immer noch an meinen ersten Start erinnern, der übrigens nicht so gut verlaufen ist, wie er hätte verlaufen können. Es war im Rahmen der historischen Tour de Corse. Das Auto: ein Ford Escort Gruppe 4. Mein Vater und mein Patenonkel nahmen ebenfalls an dieser Rallye teil. Es war die historische Rallye mit der grössten Anzahl Teilnehmern – ich glaube, es waren mehr als 250 Fahrzeuge am Start. Das Ergebnis der ersten Sonderprüfung war unglaublich: mein Patenonkel fuhr die zehntschnellste Zeit, ich war Elfter und mein Vater lag auf P13. Wir lagen keine zwei Sekunden auseinander. Natürlich fühlte ich mich nach einem so vielversprechenden Start verpflichtet, meine Leistung zu bestätigen, aber leider geriet ich mit meinem Fuss statt auf die Bremse auf das Gaspedal und wir landeten in einem kleinen Graben, was uns daran hinderte, die Etappe fortzusetzen. Zum Glück handelte es sich um eine 5-Tage-Rallye, sodass wir am nächsten Tag wieder starten konnten. Ich wurde von einem sehr erfahrenen Beifahrer navigiert, der es mir ermöglichte, sehr schnell zu lernen und mir gleichzeitig Selbstvertrauen zu geben. Diese Rallye hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Und die Tatsache, dass wir dort als Familie angetreten sind, hat es noch unvergesslicher gemacht.
Teil 2 des Interviews lesen Sie morgen auf www.motorsport.ch/de/