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17.05.2024 Wie wichtig ist die Aerodynamik im Kartsport?
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Aerodynamik im Kartsport: Zur Not heisst's – Kopf runter © Eichenberger

Wie schon bei den letzten Ausgaben veröffentlichen wir an dieser Stelle den einen oder anderen Artikel aus dem vierteljährlich erscheinenden Magazin von ASS. Teil 2: Aerodynamik im Kartsport.

In der Formel 1 ist die Aerodynamik das A und O. Daran hat auch die wohl grösste Regel-Revolution der Geschichte nichts geändert, als die FIA 2022 die Aerodynamik moderner Formel-1-Autos rigoros beschnitten hat. Im Gegenteil! Seit die neuen Regeln in Kraft getreten sind, kriegt man das Gefühl nicht los, dass Stardesigner Adrian Newey der Konkurrenz in Sachen Aerodynamik um Welten voraus ist. Anders kann man sich den Vorsprung von Red Bull und Seriensieger Max Verstappen fast nicht erklären. Seit Einführung der neuen Regeln haben Neweys Konstruktionen 39 von 45 Grands Prix gewonnen – noch Fragen?

Auch im Kartsport ist Aerodynamik längst kein Fremdwort mehr, auch wenn die Möglichkeiten dort natürlich begrenzter sind. Trotzdem sind die paar Plastikteile, die ein modernes Kart umgeben, zur Spielwiese der Karthersteller und -zulieferer geworden. Nicht selten schielen diese Richtung Formel 1 und kupfern beim grossen Bruder aerodynamische Lösungen ab.

Ein gutes Beispiel dafür ist Birel. Der italienische Hersteller ist seit 1959 ein wichtiger Player im Kartrennsport und hat 2018 einen Frontflügel mit dem Codenamen «F1» auf den Markt gebracht. Der Name ist Programm und die Ähnlichkeit verblüffend. Der Spoiler könnte problemlos aus der Feder eines Formel-1-Aerodynamikers stammen.

Laut Birel sollte «F1» eine Menge an Abtrieb in Hochgeschwindigkeitskurven erzeugen, ohne dabei den Luftdurchlass zur Airbox und den Bremsen zu beeinträchtigen. Ganz so bahnbrechend war die Erfindung am Ende des Tages dann aber doch nicht. In der autobau Schweizer Kart-Meisterschaft kommt der Flügel nicht zum Einsatz. Max Busslinger, der 2023 mit Birel-Chassis und Routinier Pascal von Allmen die OK-Senioren-Meisterschaft gewann, sagt: «Ich tendiere dazu, den Frontflügel eher grösser zu machen, damit er mehr Elastizität hat. Dadurch wird der Spoiler bei einer Berührung weniger schnell nach hinten gedrückt und somit gibt’s weniger Zeitstrafen für die Piloten.»

Birel S9 2018 Motorsport Schweiz | Auto Sport Schweiz
Der Birel-Frontflügel in Anlehnung an die Formel 1 © Birel

Auch Tony Kart, respektive die dahinter stehende OTK Group, zählt zu den Herstellern, die in Sachen Aerodynamik tüfteln und Gas geben. Besonders erfinderisch waren die Italiener mit dem Lenkstangenspoiler «M7». Bei diesem Aero-Teil wird die Luft durch einen zentralen Kanal über den Fahrer geleitet. Das Plastikteil, das einer geschälten Banane gleicht, soll laut OTK den Luftwiderstand verringern. Wie die Birel-Lösung war auch dieser Lenkstangenspoiler das Ergebnis umfangreicher Tests, diesmal sogar im Windkanal. Mit einem Preis von 215 Franken ist das Teil nicht günstig. Gewöhnliche Frontschilder kosten einen Bruchteil davon. «Der Preis ist relativ hoch – das stimmt», sagt Agostino Lagrotteria, offizieller Importeur der Marke Tony Kart aus dem Thurgauischen Sirnach. «Man darf aber die Entwicklung, die Tests und die vielen Formen, die dafür gebraucht werden, nicht vergessen. Das schlägt sich in den Kosten nieder.»

Eigene Aero-Tests hat Lagrotteria mit dem «M7» noch keine durchgeführt. Er vertraut auf die Aussagen von OTK und weiss aus Erfahrung: «Andere Hersteller experimentieren mit einem Luftführungsloch. Das funktioniert vom Prinzip her ähnlich. Also zielt die Lösung von Tony Kart sicher in die richtige Richtung. Denn unterm Strich verfolgen alle dasselbe aerodynamische Ziel: Sie wollen den Windwiderstand verringern, indem man die Luft gezielt über den Fahrer hinwegleitet.»

Doch nicht nur der Windkanal wird inzwischen zur Verbesserung der Aerodynamik im Kartsport herangezogen. Auch mit dem aus der Formel 1 bekannten «FloViz» wird experimentiert. Diese Flüssigkeit wird seit einigen Jahren von Formel-1-Teams dazu genutzt, um aerodynamische Strömungen am Auto sichtbar zu machen. Der jahrelang auf Lenkräder spezialisierte Hersteller KG hat sich dieser Methode angenommen und neue, aerodynamisch verbesserte Kart-Verschalungen herstellen lassen. Auch hier stellt sich die Frage: Bringen diese aerodynamischen Kunstgriffe etwas? Oder sind sie für die Hersteller bloss ein kommerzielles Mittel zum Zweck?

Einer, der für den Kartsport lebt, ist Ken Allemann. Der frühere Spitzen-Kartfahrer und heutige Teamchef von Spirit Racing kennt die Szene wie kaum ein anderer. Allemann sagt: «Unter 100 km/h spielt die Aerodynamik im Kartsport eine zu vernachlässigende Rolle. Liegt man jenseits von Tempo 100, oder sitzt man in einem vollverschalten Superkart, kann man möglicherweise feine Unterschiede feststellen. Aber wir sprechen da von ein paar Hundertstelsekunden.»

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Gut zu erkennen: der Lenkstangenspoiler von Tony Kart © Eichenberger

Ob und wie viel aerodynamischen Nutzen ausgeklügelte Aero-Verschalungen an modernen Karts haben, liegt auch in der Natur der Rennstrecken. Auf einer eher schnellen Piste wie im italienischen Franciacorta oder im spanischen Zuera hat die Aerodynamik eines Karts mehr Einfluss als auf einem langsamen, kurvenreichen Rundkurs. «Gemessen haben wir es noch nie», sagt Allemann. «Aber wenn wir in Wohlen fahren, müssen wir uns nicht über den aerodynamischen Nutzen von Kartverschalungen unterhalten. Dort zählen einzig und allein das Set-Up und die Einstellung des Motors.»

Einer von Allemanns Fahrern, der Waadtländer Michael Pemsing, hat 2023 bei den schnellen Schaltkarts ein gewöhnliches Frontschild verwendet – ohne Bananen-Kanal oder Luftführungsloch. War er deshalb langsamer? «Nein», winkt Allemann ab. «Und er hätte mit einer anderen Frontverschalung auch keinen Unterschied gespürt.»

Für Allemann erfüllen all die Plastikteile an einem modernen Kart einen ganz anderen Zweck: Sie sollen in erster Linie für mehr Sicherheit sorgen. Ausserdem erhöht ein Frontflügel den Grip auf der Vorderachse – allein schon durch das zusätzliche Gewicht. Der erfahrene Teamchef bringt es deshalb auf den Punkt: «Ich bleibe dabei: Alles, was ein Kart kompliziert macht, macht dich nicht schneller.»

Zu guter Letzt kann sich der Fahrer auf langen Geraden ja immer noch ducken. Ganz nach dem Motto: «Gring abe u vou seckle…»

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Zwei unterschiedliche Lösungen der Frontverkleidung – mit Loch (rechts) und ohne Loch (links) © Eichenberger

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